Frisierte Stimmungsschwankungen

Es ist interessant, wie sich die Grundstimmung in der Berichterstattung über den „berühmtesten Arbeitslosen Deutschlands“, Henrico Frank, in den letzten Tagen entwickelt hat. Ich beziehe mich in der folgenden Aufstellung auf Bild.de und Spiegel.de.

Am 13. berichteten beide Blätter über die Pöbelattacke und die Antwort Becks.
Bild.de:

Dann der Auftritt von Henrico Frank (37): Der Arbeitslose – lange strähnige Haare, Nasenpiercing, Zottelbart – drängelte sich an den SPD-Chef heran, brüllte: „Sie sind für Hartz IV verantwortlich – und ich habe keinen Job …!“
Beck drehte sich um, rief dem offenbar alkoholisierten Arbeitslosen zu: „ Wenn Sie sich waschen und rasieren, dann haben Sie in drei Wochen einen Job!“

Spiegel.de:

Wirbel um Kurt Beck: Ein Arbeitsloser beschimpfte ihn auf einem Weihnachtsmarkt wegen Hartz IV. Da riet ihm der SPD-Chef, er müsse sich nur waschen und rasieren, schon „haben Sie in drei Wochen einen Job“. Beck versucht sich jetzt in Vorwärtsverteidigung – FDP und Union greifen ihn an.

Während im Bild-Artikel die Stimmung ironisch bis ausgewogen ist, kritisiert der Spiegel Beck und zieht dazu auch Äußerungen anderer Passanten und von FDP und Union heran. Beide weisen jedoch darauf hin, dass Beck dem Arbeitslosen helfen will.


Dann hat sich Henrico F. rasiert und frisiert – und das brachte ihm Pluspunkte.

Spiegel.de:

Heute präsentierte sich Henrico F. schon erkennbar verändert: Der Bart ist abrasiert, die Haare sind gekürzt. „Ich nehme jeden Job“, sagte der Arbeitslose. Er sei zum Friseur gegangen, um dem SPD-Chef ein klares Zeichen zu geben: „Ich bin bereit, mich zu verändern.“ Er wolle nicht mehr gezwungen sein, „von Almosen vom Amt zu leben“.

Zusammen mit der Schilderung seines Lebens ergibt dieser Artikel ein durchaus positives Bild. Aber auch Kurt Beck steigt wieder in der Gunst:

Kurt Beck ist fein raus. Gestern noch der Buhmann, weil er einen pöbeligen Arbeitslosen zurechtwies. Doch er geht in die Offensive, will dem Mann bei der Jobsuche helfen – so bleibt der Opposition nur reflexhafte Kritik. Die SPD steht genauso hinter Beck wie die Union.

Etwas anders verhält es sich bei der Bildzeitung. Auch hier wird der neue Haarschnitt positiv vermerkt:

Gestern die Wandlung! Frank taucht mit kurz geschnittenen Haaren auf einer selbst einberufenen Pressekonferenz auf, präsentiert sich den Fotografen im neuen Outfit und erzählt seine „Leidensgeschichte“.

Moment mal? Selbst einberufene Pressekonferenz? Interessant…

Doch will der gestylte Hartz-IV-Empänger überhaupt arbeiten? Gestern jedenfalls steckte an seiner schwarzen Lederjacke noch ein Button der „Anarchistischen Pogo Partei Deutschland“.
Aufschrift: „ARBEIT IST SCHEISSE!“.

Als positive Berichterstattung kann man das wohl nicht mehr bezeichnen. Entsprechend wird die Berichterstattung heute noch negativer. So heißt es im Bild.de-Artikel „Deutschlands frechster Arbeitsloser„:

Henrico Frank (37), Deutschlands frechster Arbeitsloser: Gestern ließ er einen für heute 14 Uhr angebotenen Termin beim rheinland-pfälzischen Regierungschef Kurt Beck platzen – und gleich auch einen Ersatztermin für Morgen!
[..]
Franks Hartz-IV-Stütze zahlt die Stadt Wiesbaden. Er hat vier Handys.
[..]
Die „Managerin“ und Pressesprecherin des Hartz-IV-Empfängers, Brigitte Vallenthin, auf einer extra anberaumten Pressekonferenz: „Herr Frank hat einen ehrenamtlichen Termin mit den Wiesbadener Kirchen, den er nicht absagen kann. Wir können ja nicht die Kirchen untern Arm packen und nach Mainz fahren.“
[..]
FDP-Generalsekretär Dirk Niebel: „Das ist eine schäbige Posse: Millionen Arbeitslose wünschen sich nichts sehnlicher als Arbeit. Und geboten wird ihnen die Geschichte vom Mann ohne Bart.“

Mir bleiben da spontan nur folgende Fragen: Wozu braucht jemand vier Handys? Und wie kommt ein Hartz IV-Empfänger an eine Pressesprecherin? Und hätten die Kirchen für den Ministerpräsidenten ihren Termin nicht verschoben?

Vielleicht werden die Fragen vom Spiegel gelöst. Dieser berichtet erstmal, dass Beck Arbeit für Henrico F. hat, der Untertitel des Artikels ist wohlgemerkt „Zum Job gepöbelt“. Dann bekommt in einem weiteren Artikel Beck Rückendeckung für seinen Spruch mit dem Rasieren und Frisieren. Es fällt grundsätzlich auf, dass der Spiegel sich eher mit der Beck-Seite der Geschichte befasst.
Am 17. Dez. berichtet auch der Spiegel über das abgesagte Treffen Henrico F.s mit Beck.

F. habe jedoch im Rahmen seiner ehrenamtlichen Tätigkeit terminliche Verpflichtungen und sei daher verhindert, sagte Brigitte Vallenthin von der Wiesbadener Hartz-IV-Plattform, die als F.s Sprecherin auftritt.

F. warf Beck eine herablassende Haltung vor. Der SPD-Chef hätte zu ihm Kontakt aufnehmen sollen, bevor der Termin öffentlich verkündet wurde. „Ich bin auch erstaunt über die abermals herablassende Umgangsform des Vorsitzenden der Partei der Benachteiligten“, sagte er. Dass Beck die Presse informiert habe, bevor die Einladung bei F. im Briefkasten gewesen sei, „ist der erneute Beweis dafür, dass sein Herz gar nicht für uns schlägt“.

Anscheinend waren F. und seine Pressesprecherin nicht mit der positiven Stimmung gegenüber Beck zufrieden und übten einfach erneut Kritik. Aber halt mal: Was heißt denn hier eigentlich „uns“? Und was ist denn die Wiesbadener Hartz-IV-Plattform?
Das Ende des Artikels verweist auch auf ein eher negatives Bild Henrico F.s.

Inzwischen zeigt er sich mit dem Ergebnis des Friseurbesuchs unzufrieden. Der Berliner „Tagesspiegel“ zitiert den 37-Jährigen so: „Es hieß, ich soll mir die Haare ein bisschen schneiden lassen. Ein bisschen! Nicht, dass ich da mit einem Poposcheitel rauskomme.“ Er habe das Unglück erst bemerkt, als es zu spät war, sagte F. dem Blatt. Beim Schneiden habe er die Augen geschlossen gehalten: „Ich wollte das Elend nicht mit ansehen.“

Jetzt der heutige Artikel bei Spiegel.de („Henrico, das Beck-Gespenst„).

SPD-Chef Beck hat acht Jobs für den arbeitslosen Henrico Frank gefunden. Doch der zeigt sich nicht dankbar, sondern schwingt sich zum Anwalt aller Arbeitslosen auf.
[..]
Für Kurt Beck ist die Sache erledigt. Zwei Mitarbeiter der Staatskanzlei hätten dem arbeitslosen Henrico Frank heute acht Job-Angebote zugestellt, teilte Becks Regierungssprecher am Montag mit.
[..]
Doch verschiedene Arbeitslosen-Initiativen wollen das Rampenlicht nutzen und aus dem Einzelfall eine Grundsatzdebatte über das Schicksal der Arbeitslosen machen. So hat sich inzwischen das Erwerbslosenforum Deutschland mit Sitz in Bonn des Falls angenommen. „Wir sind seit Samstag dabei“, wie Sprecher Martin Behrsing es ausdrückt. Für den 2. Januar kündigte die Interessenvertretung eine große Frisier-Aktion vor der Mainzer Staatskanzlei an. Behrsing hofft, dass er die Profis der Mainzer Friseur-Innung für Haarschnitte und Nassrasur gewinnen kann.

Aha? Was geht? Plötzlich wurde aus einem Einzelfall eine prinzipielle Sache, plötzlich geht es um eine Grundsatzdebatte über das Schicksal der Arbeitslosen? Wir erinnern uns, dass Henrico F. Beck vorgeworfen hat, an seiner Situation schuld zu sein.

„Brigitte Vallenthin hat inzwischen auch das persönliche Management für Henrico Frank übernommen. Alle Kontakte zu ihm können ab sofort nur noch und ausschließlich über sie erfolgen“, heißt es in schönstem PR-Deutsch in einem Schreiben. „Für Interview- und Bild-Wünsche“ werden Telefonnummer und E-mail-Adresse genannt. Ein Arbeitsloser mit eigenem Pressestab: Es wirkt wie ein Witz.

Die gelernte Journalistin Vallenthin verschickt die Pressemitteilungen aus ihrem Wohnzimmer in der Nähe von Wiesbaden. Sie engagiert sich ehrenamtlich als Vorsitzende der Wiesbadener „Hartz-IV-Plattform“, einer Betroffenengruppe mit rund 30 Mitgliedern, in deren Vorstand auch Frank sitzt.

Nun ist klar, wie der Arbeitslose zur Pressesprecherin kam. Und im Vorstand ist er auch. Da könnte man ja evtl. unterstellen, dass die Sache provoziert wurde, um der Plattform ein größeres Forum zu geben… aber das ist ja sicher weit hergeholt.

Vallenthin wiederholt, was sie zuvor bereits in Interviews gesagt hatte: Frank gehe es nicht allein um sich, sondern um eine Verbesserung für alle Hartz-IV-Empfänger. Auch bestehe er darauf, dass Beck nicht ihn allein, sondern die „Hartz-IV-Plattform“ zum Gespräch empfange.

„Die Staatskanzlei lehnt es ab, mit uns zu kommunizieren. Darauf werden wir aber bestehen“, sagte Vallenthin SPIEGEL ONLINE. An einem Treffen mit Beck sei man weiterhin interessiert – auch Anfang nächsten Jahres. Es sei jetzt keine Sache mehr zwischen Frank und Beck, sondern ein „Machtspiel mit der Politik“.

Mhmm… es geht ihm nicht nur um sich? Aber genau DAS hatte er Beck doch vorgeworfen! Natürlich, er ist ein ehrenamtlich engagierter Mensch, sogar bei den Kirchen, vielleicht hat er ja tatsächlich spontan gedacht, da machen wir was großes draus. Aber einen Beigeschmack hat das doch, oder?

Es ist klar, dass Beck sich auf dieses „Machtspiel mit der Politik“ nicht einlassen will. Auch ihm ging es nur um den (erpöbelten) Einzelfall, er kann ja auch kaum allen Hartz-IV-Empfängern Jobs besorgen. Beck kann von Glück sagen, dass sein Kontrahent in der Geschichte von der Presse in ein immer zwielichtigeres Licht gerückt wurde (und zwar vermutlich zurecht). Während die Stimmung am Anfang ganz klar auf der Seite des „kleinen Mannes“ war, hat dieser durch sein großspuriges Verhalten seinen Vorteil verspielt.

Dazu genügte es, einen Button mit der Aufschrift „Arbeit ist Scheiße“ an der Jacke zu haben und zu sagen, dass er „jeden Job nehmen würde“. Da hatte seine Pressesprecherin wohl mal kurz nicht aufgepasst…

4 Gedanken zu „Frisierte Stimmungsschwankungen“

  1. Einfach unglaublich! Er hätte heute schon einen Job haben können. Wer lehnt jemanden ab, der durch Hr. Beck vermittelt wird?!
    Da sieht man mal wieder, das Hartz IV doch nicht so schlecht sein kann…
    Und das neue Motto lautet: Pöble einen Politiker an und du wirst „berühmt“.

  2. Selbsthilfe kann, wie man an diesem Bespiel sieht, zu einer Institutionalisierung der Hilflosigkeit führen. Hätte er einen Job, wäre er wohl aus der HartzIV-Empfänger-Lobbyarbeit raus und der Vorstandsposten wäre weg. Dazu noch der Imageverlust. Interessant ob eigentlich jemand von der Arge Wiesbaden Zeitung liest. Wenn nämlich Jobs nicht angenommen werden können die Hartz-Leistungen gekürzt werden.

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