Theologische Anfragen an ein überbewertetes Thema

Seitdem das EKD-Familienpapier in der evangelischen Kirche so großen Wirbel verursacht hat und es noch immer tut, und seit im württembergischen Kirchenwahlkampf der Umgang mit Homosexuellen (Pfarrern) in der Kirche wieder einmal in den Blick genommen wird, seitdem denke ich nach. Beim Nachdenken und dem damit verbundenen Bibelstudium sind mir immer mehr Fragen gekommen, die ich nun einfach mal formuliere:

Die biblischen Stellen zur Homosexualität sind übersichtlich. Es handelt sich im großen und ganzen um Lev 18,22 sowie Lev 20,13 im AT und Röm 1,26-27 im NT (hinzu kommen noch die beiden Stellen zu den Lustknaben und Knabenschändern, die ich allerdings weglasse weil es dabei definitiv um eine bestimmte Form von Abhängigkeit geht, die auch im heterosexuellen Kontext abzulehnen ist).

Die Grundprämisse aller biblisch begründeter Ablehnung von Homosexualität ist der Rückgriff auf die gute Schöpfungsordung Gottes. Gott hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen, die Frau dem Manne zugeordnet und beiden befohlen, fruchtbar zu sein und die Erde zu füllen. Rein biologisch geht das nur bei einem heterosexuellen Umgang. Das ist demnach die von Gott vorgegebene, natürliche Sexualität.

Schauen wir nun ins Alte Testament. Da fällt folgendes auf: Es geht in den besagten Bibelstellen im Buch Leviticus um Geschlechtsverkehr zwischen Männern, eine Stelle ist auch direkt an Männer gerichtet:

„Du sollst nicht bei einem Manne liegen wie bei einer Frau; es ist ein Greuel“
(Lev 18,22)

Umgekehrt finden wir allerdings nichts. Gar nichts. Es gibt im Alten Testament keine Stelle, bei der Homosexualität zwischen Frauen auch nur angesprochen – geschweige denn abgelehnt – wird. Das taucht einfach nicht auf. Das bedeutet also: Gott, der im AT in 613 Geboten den gesamten Alltag der Menschen bis hin zu Rasiergewohnheiten geregelt hat, hat zur Homosexualität von Frauen kein einziges Wort gesagt. Die Homosexualität von Männern ist allerdings im AT etwas ganz furchtbar schlimmes.
Wie kommt das? Es hat vermutlich einen relativ einfachen Grund. In einer patriarchalen Gesellschaft ist es völlig irrelevant, was Frauen untereinander machen. Es spielt keine Rolle, es ist unwichtig. Nur die Männer zählen. Eine Einschränkung gibt es jedoch: Frauen dürfen nicht mit Tieren Verkehr haben. Das wird abgelehnt (Lev 18,23 und Lev 20,16). Und genau wegen dieser Stellen kann man auch nicht einfach sagen, dass stillschweigend davon auszugehen ist, dass die Verbote für Männer natürlich auch für Frauen gelten. Denn der Verkehr mit Tieren wird explizit für Männer und Frauen verboten – die Homosexualität jedoch nicht.
Somit könnte man schlussfolgern, dass die damaligen Verfasser die männliche Homosexualität als eine gewisse Bedrohung für sich selbst ansahen (und eventuell den weiblichen Verkehr mit Tieren als Konkurrenz) – nicht aber den rein weiblichen Verkehr (vermutlich weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass eine Frau den Mann „ersetzen“ kann). Mit Gott hat das alles aber wenig zu tun.

Was müssen wir daraus schließen?
Wenn Homosexualität im AT deshalb Sünde ist, weil es der Schöpfungsordnung widerspricht – dann hätte Gott auch die weibliche Homosexualität verurteilen müssen. Hat er aber nicht.

Und nun?

Halt, halt, halt! Gott hat ja die weibliche Homosexualität verurteilt. Im Neuen Testament! Allerdings hat nur Paulus etwas dazu gesagt, für Jesus war dieses Thema offensichtlich nicht von Belang (!!!). In Römer 1 schreibt Paulus darüber, dass die Menschen sich von Gott entfernt haben und dazu gehört auch in Vers 26:

Denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen.

Ganz eindeutig wird in diesem Abschnitt Homosexualität bei Frauen abgelehnt. Aber ist das tatsächlich so? Nun ja, was genau mit dem „widernatürlichen“ Verkehr gemeint ist, steht nicht da. Bei den Männern ist davon die Rede, dass sie „miteinander Unzucht treiben“. Bei den Frauen reicht aber offensichtlich der Hinweis auf die Abkehr vom natürlichen hin zum widernatürlichen Verkehr. Interessanterweise kommt das Wort für Verkehr („χρησιν“) nur an dieser einen Stelle in der Bibel vor, über Parallelen in der griechischen Literatur weiß man aber, dass damit der Geschlechtsverkehr gemeint ist.

Zurück zur Frage: Was ist mit „widernatürlich“ gemeint? Dass dies Homosexualität ist, liegt nahe durch die männliche Parallele – ist aber nicht gesichert. Es könnte ja in Anlehnung an die Stellen aus Leviticus (Paulus war schließlich Schriftgelehrter) auch der Verkehr mit Tieren gemeint sein. Denn auch der wäre dementsprechend widernatürlich.

Wenn damit wirklich Homosexualität gemeint ist und die Begründung im „natürlichen“ (also dem von der göttlichen Schöpfungsordnung her vorgegebenen) liegt, dann entsteht allerdings ein Problem.
Homosexuelle Frauen haben den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen vertauscht, weil sie damit eben nicht dem allerersten Gebot Gottes folgen können – der Vermehrung. Und gleiches gilt für homosexuelle Männer.
Aber wenn die Maßgabe für „natürlichen Verkehr“ Gottes Schöpfungsordnung ist, die sich am Mehrungsgebot orientiert, dann geht diese Stelle ja noch weit darüber hinaus. Denn „widernatürlicher“ Verkehr wäre demnach auch jeglicher Verkehr, der im Zusammenhang mit Verhütung geschieht. Es wäre zudem jeglicher Verkehr mit Sexualpraktiken, bei denen keine Zeugung möglich ist, z.B. Oralsex.

Müsste dann nicht in letzter Konsequenz aus dieser Argumentation mit der göttlichen Schöpfungsordnung folgen, dass in Teilen der Kirche (bis hin zum württembergischen Pfarrhaus) nicht nur Homosexualität vehement verurteilt wird, sondern auch Verhütung und Oralsex? Wieso fordert das denn keiner? Kein widernatürlicher Verkehr unter Christen, DAS wäre eine logische Folgerung. Macht aber niemand. Das wäre dann wohl doch zu hart. Dann lieber nur Homosexualität ablehnen.

Exkurs: Man stelle sich das einmal vor. Bei Gesprächen werden Pfarrerinnen von Vertretern der Kirchenleitung gefragt, ob sie denn widernatürlichen Sex praktizieren – also Verhüten oder auch Oralsex. Da wär was los! Denn es ist natürlich indiskutabel, so etwas zu fragen. Aber das Geschlecht des Partners, DAS ist relevant. Zumindest bei Frauen ist dieses Vorgehen doch im Blick auf die biblische Begründung offensichtlich absurd.

Alternativ müsste man sagen, vor allem im Hinblick auf die (nicht vorhandenen) Stellen im AT, dass eine grundsätzliche Ablehnung von Homosexualität wegen eines Verstoßes gegen die Schöpfungsordnung doch ein recht schwaches Argument darstellt. Denn wieso sollte Gott es im AT bei Männern ablehnen und bei Frauen nicht? War es den Frauen möglicherweise sogar erlaubt bis Paulus den Römerbrief geschrieben hat? Wieso hat Gott es sich plötzlich anders überlegt? Fragen über Fragen. Und so waren es möglicherweise dann eben doch nur männerdominierte, gesellschaftliche Ausprägungen, die zu den verurteilenden Bibelstellen geführt haben. Und das sollte man dann beim Umgang mit Homosexualität in der Kirche berücksichtigen, genauso wie man es mit anderen zweifelhaften Themen ja auch macht (siehe „die Frau schweige in der Gemeinde“ oder Blutwurst).

Im übrigen kann meiner Meinung nach sogar das Gebot der Mehrung von gleichgeschlechtlich lebenden Menschen oder von Singles erfüllt werden. In dem sie nämlich mit daran wirken, dass Kinder gut und sicher aufwachsen, in der Gesellschaft einen Platz haben und Familien unterstützt werden.

Anmerkung:
Dieser Blogeintrag ist keine wissenschaftliche Abhandlung sondern soll nur ein Beitrag zur Diskussion sein. Gerne lasse ich mich auch eines Besseren belehren oder auf Fehler aufmerksam machen. Ich möchte aber darum bitten, dass ein allzu biblizistisches Beharren auf den betreffenden Bibelstellen immer auch eine Begründung mitliefert, warum die („böse, böse“) Homosexualität von Frauen im AT nicht vorkommt bzw. warum Gott die offensichtlich vergessen hat.

6 Gedanken zu „Theologische Anfragen an ein überbewertetes Thema“

  1. Hallo Tobias,
    also erstmal vielen Dank für den Artikel. Das ist mal eine ganz neue Perspektive auf die Frage und die Bibelstellen.

    Aber ganz ohne blöden Witz komm ich dann doch nicht aus.
    Bei der Schöpfungsordnung musste ich dann doch wieder denken: „God created Adam and Eve not Adam and Steve!“
    Grüße aus de Palz,
    Tim

  2. Hallo Tim, du hast natürlich Recht. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass Gott, der ja die Vielfalt liebt, gedacht hat: Mein Schöpfung ist so gut – die verkraftet es, wenn 10% der Adams mit Steves glücklich werden…

  3. Als zur Kinderlosigkeit verdammte Frau frage ich mich bei diesen Textstellen auch immer wieder (natürlich in schön christlicher Überspitzung):
    Was ist mit all dem Sex, der trotz größtem Willen und daher auch ohne Verhütung, NICHT zur Fortpflanzung führt?
    Sollte diesen unfruchtbaren Menschen das Leben (oder auch nur das Ausleben von Sexualität) nicht auch gleich abgesprochen werden?
    Egal, ob Mann oder Frau?

  4. Rosa, das ist eine berechtigte Frage. Und genau deshalb darf man diese Texte, die mit den zentralen Glaubensinhalten an sich nichts zu tun haben (oder sogar widersprechen), nicht zu hoch hängen. Wobei man – leider – in biblischer Zeit ja grundsätzlich immer den Frauen die Schuld gab und Ersatz suchte (siehe Abraham, Jakob etc.). Da zeigt sich einmal mehr die damalige Haltung zu Mann und Frau.

  5. Die große Frage, die ich mir immer stelle, ist: Soll/Muss/Kann/Darf man die Bibel wörtlich nehmen? Wenn ja, dann ist z.B. Homosexualität wohl verwerflich. Aber dann sind wohl sprechende Schlangen, brennende Büsche, Riesen und sich teilende Meere auch wahr!? Uha. Da kommen wir stark in den Bereich von Fantasy-Romanen.

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