Das eigentliche Problem

Als ich vor ziemlich genau 10 Jahren nach meiner Zwischenprüfung ein Gespräch im OKR hatte, da war es eine Zeit der massiven Werbung für den Pfarrberuf. Im Lauf des Gesprächs wurde mir ein Schaubild gezeigt, das den internen Namen „Das eigentliche Problem“ trug. Auf dem Schaubild war die Altersverteilung der Pfarrer unserer Landeskirche zu sehen. Und es war offensichtlich, was dieses Schaubild so brisant machte – nämlich der große Berg in der Mitte.

Inzwischen sind 10 Jahre vergangen. Wir haben zwei Pfarrplanrunden hinter uns. Immer noch ist das eigentliche Problem nicht gelöst, immer noch existiert dieses Schaubild. Nur der Berg ist weiter an den Rand gerutscht – Richtung Ruhestand.

Was das Schaubild bedeutet, werden wir in ein paar Jahren spüren. So etwa ab dem Jahr 2019 wird es viele Jahre hintereinander geben, in denen wesentlich mehr Pfarrer/innen in den Ruhestand gehen als eingestellt werden. Insgesamt werden es um die 500 Pfarrer/innen sein, die in diesem Zeitraum fehlen – das sind etwa ein Drittel der Gemeindepfarrstellen. Gut, irgendwann wird sich das wieder ausgleichen, man schätzt so etwa 15 Jahre wird das dauern. Aber in dieser Zeit werden wir einen Pfarrermangel haben.

In den Pfarrplangesprächen wurde immer gesagt, die tiefen Einschnitte werden erst ab 2018 kommen. Ja, das stimmt. Aber sie werden keine finanziellen Gründe haben, sondern personelle. Geld wird dann nämlich theoretisch genug zur Verfügung stehen – schließlich werden die Ruhestandsgehälter aus einem anderen Topf bezahlt. Einen Pfarrer kann man aber leider nicht einfach kaufen.

Wann immer ich diese Problematik in verschiedensten Gremien angesprochen habe (und mit Schaubildern dramatisch untermalt), entstand große Betroffenheit. Und dabei blieb es auch. Das hilft nur leider nichts. Denn irgendwie müssen wir damit doch umgehen und uns auf diese Situation vorbereiten. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass in 6-10 Jahren plötzlich 500 Jungtheologen von irgendwoher auftauchen, die man dann einstellen kann. Das wäre auch deshalb gar nicht gut, weil dann wieder so ein Berg entstehen würde.

Man könnte nun als junger Pfarrer optimistisch sein und sagen: Na, dann hab ich wenigstens eine große Auswahl an Stellen. Das ist natürlich richtig, aber die Arbeit in der Gemeinde muss ja auch noch leistbar sein.

Sehen wir die Sache doch mal ganz praktisch:
Wenn ein Drittel der Pfarrer/innen wegfallen, dann werden zwei die Arbeit von dreien machen. Das heißt, jede/r unter 45 muss damit rechnen, dass er/sie 50% mehr Gemeindeearbeit dazubekommt. Das wird durch die Entwicklung der Gemeindeglieder nicht direkt vergleichbar sein mit dem heutigen Stand, aber immer noch einen wesentlichen Mehraufwand darstellen. Und natürlich kommen theoretisch auch noch Religionsdeputate dazu. Denn das ist ja etwas, worüber nie jemand spricht: Die Relistunden sind Bestandteil eines Vertrags mit dem Land. Die müssen gehalten werden, wenn nicht, wird der Vertrag hinfällig und die damit verbundenen Staatsleistungen. Der Religionsunterricht muss also gehalten werden, aber wie soll das gehen? Höchstens durch die Einstellung von mehr Religionspädagogen, die die Pfarrer an dieser Stelle entlasten. Aber das geht nicht einfach so, das muss man vorbereiten – übrigens auch rechtlich.

2019 bin ich 41 Jahre alt, meine Tochter ist dann in der Grundschule. Generell wird die Zeit ab etwa 40 als eine sehr leistungsstarke Zeit angesehen, gerade im Pfarrberuf, wo dann Erfahrungen gesammelt wurden und man bereit ist für mehr Verantwortung etc. – nicht zuletzt zeigt sich das in der rechtlichen Regelung bezüglich höher dotierter Pfarrstellen.

Das ganze gibt mir zu denken. Wie soll ich – und wie sollen wir als Pfarrer meiner Generation und jünger – dieses Drittel an Mehrarbeit auffangen? Und vor allem: wieso bereitet uns niemand darauf vor? Und die Gemeinden? Die Kürzung einer 100%-Pfarrstelle in einem Kirchenbezirk ist ein Witz, wenn man in Zukunft 6,7 oder mehr Stellen schlichtweg nicht mehr besetzen kann. Dennoch wird in den meisten Bezirken wegen Prozenten gefeilscht. Vielleicht wird es aber tatsächlich einfacher, wenn in größerem Umfang gekürzt wird. Zumindest von der Akzeptanz her.

Was ich mir wünschen würde, wäre mal eine Arbeitsgruppe, die sich mit den kommenden Entwicklungen im Blick auf den Pfarrermangel beschäftigt. Und zwar (auch) besetzt mit Leuten, die davon auch betroffen sein werden. Also Menschen unter 45 Jahren. Denn das sind die, die nachher die Sache ausbaden müssen. Eine Gruppe, die sich Gedanken macht, wie man diesen Mehraufwand auffangen könnte. Die auch mal unkonventionelle Vorschläge macht, wie z.b. Gemeindemanager einzustellen, die den Pfarrer/innen in großen Kirchengemeinden verwaltungstechnisch unter die Arme greifen können.

Denn es kann doch nicht sein, dass wir in den letzten Jahren viel über Burnout, über steigende Arbeitsbelastungen usw. reden und sehenden Auges als Landeskirche in das Pfarrdesaster laufen. Es muss sich für die Zukunft dringend etwas ändern, und es reicht nicht, (wie so oft) abzuwarten, bis es dann soweit ist. Denn das geht auf Kosten der Pfarrer/innen und der Gemeinden.

Ich weiß für die kommende Kirchenwahl eine Sache ganz sicher: Ich werde in die Landessynode nur Menschen wählen, die zu diesen Fragen etwas sinnvolles und konstruktives beizutragen haben und „das eigentliche Problem“ lösen wollen.

tl;dr
Der kommende Pfarrermangel erfordert Maßnahmen und Konzepte, damit in Zukunft die Arbeit von den Pfarrer/innen noch bewältigt werden kann.

Ein Gedanke zu „Das eigentliche Problem“

  1. Danke für die profilierte Sicht der Dinge!

    Ich würde gerne mitmachen in so einer Arbeitsgruppe. Und dann endlich mal unser Pfarrbild entschlacken – sprich: das tun, was auch aus reformatorischen Gründen geboten wäre, ganz ohne Personalmangel. Gemeindemanager(innen), warum nicht?! Sie müssen ja nicht so heißen …

    Ein Hinweis zum Thema „Staatsleistungen“: Dieser Begriff bezieht sich doch vor allem auf die Entschädigungszahlungen in Folge des Reichsdeputationshauptschlusses unter Napoleon, nicht auf die Zahlungen für den von Pfarrer(inne)n gegebenen Religionsunterricht. Der wird meines Wissens auch gar nicht vollständig refinanziert durch den Staat, so dass ein Wegfall von Religionsunterrichtsstunden zwar bedauerlich wäre, aber keine finanziellen Folgen hätte. Oder?

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