Seelsorge in Facebook – eine Problemanzeige

Nachdem ich schon lange keine wirklich inhaltlichen Beiträge mehr gebracht habe, hier ein paar Gedanken zu einem sehr schwierigen Thema: Seelsorge in Facebook. Angeregt dazu wurde ich vom Betreiber von theonet.de, der hierzu (zumindest bisher) eine andere Position hat als ich. Dieser Text versteht sich als Diskussionsgrundlage und beinhaltet meine persönliche Sichtweise als Pfarrer und Social-Media-Nutzer.

Eine der Grundvoraussetzungen von Seelsorge ist der Schutzraum, in dem eine Gespräch stattfindet. Dieser Schutzraum kann sehr unterschiedlich sein, zwischen einer Verabredung im Amtszimmer des Pfarrers bis hin zu dem spontanen Gespräch am Gartenzaun. Wichtig ist, dass das Setting der Seelsorge ein vertrauensvolles Gespräch ermöglicht. Als beruflicher Seelsorger habe ich als Pfarrer eine besondere Verantwortung dafür, für solch ein Setting zu sorgen. Nicht zuletzt wegen des Seelsorgegeheimnises, das streng gewahrt werden muss.

Und hier beginnen schon die Probleme. Kann denn Facebook überhaupt solch ein geschützter Raum sein? Ist das Seelsorgegeheimnis in Facebook überhaupt realistisch schützbar?

Ich würde spontan sagen: Nein.

Denn es ist eine Tatsache, dass sämtliche Daten, die eine Person in Facebook irgendwie „veröffentlicht“, gespeichert werden. Dazu gehören auch z.B. Chatprotokolle. Über die Verwendung dieser Daten weiß alleine Facebook Bescheid, so dass es durchaus möglich ist, dass Chatprotokolle aus „Seelsorgegesprächen“ ausgewertet und weiterverwendet werden. Ein geschützter Raum kann das kaum sein. Ich müsste demnach eine Seelsorgeanfrage in Facebook ablehnen oder auf andere Kontaktmöglichkeiten verweisen. Denn schließlich könnte das Gespräch von dritten mitverfolgt oder später gelesen werden.

Auf der anderen Seite gibt es gegen dieses Argument natürlich wiederum Einwände. Zum einen die pragmatische Sichtweise: Die Datenmenge an Nachrichten und Chatprotokollen bei Facebook ist so immens, dass es kaum vorstellbar ist, dass da „jemand“ tatsächlich gezielt nach Daten sucht bzw. es überhaupt jemanden interessiert ob Frau Müller mit dem Herrn Maier ein seelsorgerliches Chatgespräch geführt hat. Hinzu kommt die Relativierung, dass ich letztlich nie als Pfarrer mit absoluter Sicherheit einen geschützten Raum anbieten kann. Ein Telefonat kann theoretisch abgehört werden, ebenso wie ein Gespräch, egal wo man es führt. Die Verantwortung des Seelsorger für eine geschütztes Setting hat Grenzen, sonst könnte keiner vernünftig Seelsorge betreiben.

Nun macht es aber schon einen Unterschied, ob auf der Straße ein Passant Gesprächsfetzen mitbekommt, oder ob ich in Facebook einen Chat führe. Denn das Protokoll des Chats wird gespeichert, theoretisch bis in alle Ewigkeit. Und so kann nicht nur Facebook selbst, sondern auch ich oder die beseelsorgte Person oder jeder andere, der auf meinen oder den betreffenden Account Zugriff hat, diese Gespräch 1:1 rekonstruieren. Deshalb ist es auch für den Seelsorger viel schwieriger, das Seelsorgegeheimnis letztlich in der Form zu bewahren, wie es bei einem Vier-Augen-Gespräch möglich wäre.

Aus diesen Überlegungen folgt zwingend, dass Seelsorge aus Sicht eines „professionellen“ Seelsorgers in Facebook nicht möglich bzw. zu unsicher ist.

Ich mache es aber trotzdem, aus gutem Grund. Und das hat etwas mit der anderen Seite zu tun, nämlich der Person, die Seelsorge wünscht. Denn diese Person wählt ja das Setting im Normalfall gezielt aus. Ob das nun ein Gespräch im Bus ist, oder am Gartenzaun, nach der Kirche im Beisein der Familie oder der Besuch im Pfarramt – im Normalfall entscheidet nicht der Seelsorger, in welchem Setting das Gespräch stattfindet (außer vielleicht bei Kranken-, bzw. Altenbesuchen). Und so ist auch das Setting „Facebook-Chat“ kein willkürliches.

Verschärft wird dies noch durch die Tatsache, dass gerade z.B. Jugendliche gezielt digitale Kontaktmöglichkeiten nutzen. Sie wählen absichtlich diesen Weg, weil sie sich dadurch sicherer fühlen und einem Erwachsenen eher öffnen können, als in einem direkten Gespräch. Und meines Erachtens wiegt dieser Aspekt mehr als die Gefahr, dass das Gespräch gespeichert und nachgelesen werden kann.

Aber wenn nun den Gesprächspartnern die Gefahren gar nicht bewusst sind. Müsste man dann nicht dennoch auf eine Seelsorgegespräch via Facebook-Chat verzichten? Zum Wohle des anderen?
Ich sehe das nicht so. Natürlich sollte ich gerade im Umgang mit Jugendlichen darauf aufmerksam machen, dass Facebook nicht so sicher ist, wie sich mancher darin fühlt. Dennoch ist dieser Weg der Kontaktaufnahme ein ganz „normaler“ Vorgang und für viele möglicherweise sogar der einzige, bei dem sie überhaupt mit einem Seelsorger in Kontakt treten können oder wollen.

Aus all diesen Überlegungen habe ich für mich ein (vorläufiges) Fazit gezogen:
Der Schutz des Seelsorgebedürftigen durch das Seelsorgegeheimnis ist eine große Verantwortung, die ich als Pfarrer trage. Dies beinhaltet auch, dass ich mich um einen geschütztes Setting bemühe, in dem ein Gespräch stattfinden kann. Dennoch muss ich auch auf der anderen Seite den Wunsch der Personen respektiere, die zu mir kommen. Die Ablehnung eines Gespräches, nur weil ich selbst das grundlegende Setting nicht als „geschützten Raum“ empfinde, ist für mich nicht angemessen. Es hat meist einen guten Grund, dass eine Person mich in Facebook anspricht und nicht auf der Straße oder per Telefon. Dennoch gehört zu meiner Verantwortung, dass ich auch andere (für mich evtl. „bessere“) Settings anbiete und z.B. eine persönliches Gespräch vorschlage. Der Wunsch der Person, die mit mir Kontakt aufnimmt, wiegt allerdings schwerer als mein eigenes Bedürfnis. Daher werde ich im Zweifelsfall auch schwerwiegende seelsorgerliche Themen in Facebook besprechen, wenn dies so gewünscht wird.

Für Seelsorge in Facebook gebe ich mir daher selbst folgende Regeln:

  • Sei zugewandt. Auch in Facebook hat die Hilfe suchende Person die ungeteilte Aufmerksamkeit verdient, so schwer dies auch im Einzelfall sein kann. Wenn ein Chat in seelsorgerliche Themen rutscht, gelten verschärfte Regeln bezüglich Reaktion oder auch Gesprächsende.
  • Sei dir der Datenproblematik immer bewusst. Auch die Aussagen des Seelsorgers werden gespeichert und können später unter Umständen nachvollzogen werden.
  • Biete Alternativen. Ein Facebook-Chat kann der Einstieg in ein weiterführendes Gespräch mit anderem Setting sein. Allerdings sollte es nicht so wirken, als ob der Seelsorger von vorneherein ein Gespräch auf diesem Weg ablehnt.
  • Das Seelsorgegeheimnis gilt auch in Facebook. Dies beinhaltet den direkten Umgang mit den Informationen, die man bekommt, aber auch indirekt Sicherheitsaspekte von Facebook selbst. Ein Account, mit dem Seelsorge betrieben wird, erfordert das höchstmögliche Sicherheitsmaß (automatisches Ausloggen, SSL-Verbindungen etc.). Allerdings hat die Verantwortung auch Grenzen, wie oben bereits erwähnt.

7 Gedanken zu „Seelsorge in Facebook – eine Problemanzeige“

  1. Lieber Tobias,
    als ich deinen Beitrag vorhin gesehen habe, hast du mich neugierig gemacht. Nach unserer (…)-Sitzung habe ich den Beitrag nun gelesen und muss dir ein großes Kompliment machen. Ich stimme dir zu, was du über das besondere Setting sagst. Mit der nötigen Vorsicht genutzt, kann auch dieses Medium ein durchaus wichtiger und richtiger Weg sein, seelsorgerliche Gespräche zu führen. Zumindest am Anfang – sicher gibt es Grenzen, doch diese auszuloten, ist von Einzelfall zu Einzelfall neu nötig. Die Weite der sozialen Medien sollte meines Erachtens nicht zu einer totalen Engführung im Bezug auf die Möglichkeit seelsorgerlicher Gespräche führen…

  2. Hallo Tobi,
    auch von mir 5 (nicht mehr funktionierende) Sterne ******!
    Als Social-Madia Nichtnutzer (siehe die fehlende Xing antwort), kann ich deinen Thesen trotzdem nur zustimmen.
    Ich frage mich schon ob mir aufgrund der Abstinenz nicht dieser Kanal zur Seelsorge und Kontaktpflege fehlt.
    Naja, ich denke weiter nach….!
    Viele Grüße aus der Pfalz,
    Tim

  3. Nachdem nun die Diskussion auf theonet.de gestartet ist, hier eine weitere Anmerkung von mir:

    § 11
    Seelsorge mit technischen Kommunikationsmitteln
    Soweit Seelsorge mit technischen Kommunikationsmitteln ausgeübt wird, haben die jeweilige kirchliche Dienststelle oder Einrichtung und die in der Seelsorge tätige Person dafür Sorge zu tragen, dass die Vertraulichkeit in höchstmöglichem Maß gewahrt bleibt.

    Gerade weil wir auch gegenüber dem Staat auf die Unverbrüchlichkeit des Seelsorge- und Beichtgeheimnisses wert legen, müssen wir es selber achten. Es geht nicht nur um den einen seelsorglichen Kontakt, sondern darum, Seelsorge als ein Angebot für alle Menschen aufrecht zu erhalten bzw. zu stärken.

    Ich weiß darum, dass es Situationen geben mag, indem man bewusst um eines höheren Rechtes willen ein bestimmtes Gesetz übertreten kann und muss. Dies kann und darf aber nicht die Regel sein, sondern geschieht in Ausnahmen in der eigenen Verantwortung. Daher muss für mich der Grundsatz gelten: Keine Seelsogre auf Facebook.

    Dem EKD-Gesetz zur Seelsorge widerspricht doch nicht, was ich gesagt habe. Denn es kommt ja darauf an, wie man das „höchstmögliche“ Maß definiert. Wird es absolut verstanden, ist Seelsorge selbstverständlich nicht möglich. Wird es so verstanden, dass unter den entsprechenden Rahmenbedingungen das höchstmögliche Maß angestrebt werden soll, wird es schon wieder einfacher. Dann gelten nämlich die Vorgaben, die ich in meinem Artikel beschrieben habe.

    Als Pfarrer werde ich auch in Facebook als Seelsorger wahrgenommen. Die Position „Ich kann dieses Gespräch aus Ihrem Interesse nicht auf Facebook mit Ihnen führen.“ mag zwar rechtlich die beste Lösung sein – ob das dann aber auch für die betreffende Person die beste Lösung ist, da bin ich mir eben nicht sicher. Letztlich bleibe ich dabei, dass das Setting „Facebook“ mit seinen Risiken in den allermeisten Fällen sehr wohl bekannt ist. Wenn eine Person das Risiko eingeht, von einer Misshandlung o.ä. in Facebook zu erzählen, soll ich dann dieses Gespräch wirklich beenden – wegen des Risikos, dass mir hinterher jemand eine Verletzung des Seelsorgegeheimnisses vorwerfen könnte?

    Der Ausgangspunkt der Diskussion während unserer Sitzung war eigentlich die institutionalisierte Seelsorge. Ich sage ja aber nicht: Wer Seelsorge will, soll muss mich per Facebookchat ansprechen. Und eine Seelsorge-App ist natürlich wesentlich besser als der Chat.

    Mir ging es eigentlich darum, dass die Idee „Seelsorge in Facebook“ – was auch immer man darunter versteht (selbst wenn es nur den Erstkontakt beinhaltet und sie später auf anderem Wege weitergeführt wird) – nicht von vorneherein abzulehnen ist. Als Pfarrer steht jedem auch frei, mich auf diesem Wege anzusprechen. Wie und ob dies dann alles in Facebook läuft, das muss dann im Einzelfall geklärt werden.

    Aber um das genauer zu klären, müsten wir dann auch darüber reden, wann Seelsorge überhaupt anfängt.

  4. Auf jeden Fall schon mal klasse, dass solche Probleme überhaupt thematisiert werden. Darüber habe ich noch nie vorher was gelesen!

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